An(ge)dacht

von Pfarrerin Ann-Kristin Scholl | Juli 2024

„Wer nicht das Reich Gottes annimmt wie die Kinder, der wird nicht hineinkommen.“  
– Markus 10,15

„Ich füle mich tol“

 

Gefühlt kamen in diesem Jahr besonders früh die kleinen und großen Straßenkünstler*innen aus ihren Häusern hervor. Und sie zauberten ganze Kunstwerke auf die Bordsteine. 
Da wurden bei mir Erinnerungen wach: An lange Sonnentage, aufgeschlagene Knie, Radlerhosen, Gummitwist und eben Straßenmalkreide. Fast wurde ich ein bisschen neidisch: Wie gerne würde ich nochmal auf dem Boden sitzen und stundenlang die Straße anmalen – ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass das nächste Gewitter alles einfach wegspülen wird. 

 

Nicht nur bunte Bilder lassen sich auf die Straßen malen, sondern auch wichtige Botschaften aufschreiben. Bei einem kleinen frühsommerlichen Abendspaziergang stieß ich auf einen Satz, den ich zuerst nicht ganz entziffern konnte: „Ich füle mich tol,“ stand da mit gelber Kreide auf den grauen Asphalt geschrieben. Eindeutig war der Verfasser dieses Satzes ein Kind, der Schrift nach vielleicht eher von einem Jungen geschrieben (ohne Klischees bedienen zu wollen, aber das hat man nach kurzer Zeit Reli-Unterricht ungefähr raus). 

 

Der Satz machte mir sofort gute Laune. Was hat der Junge erlebt? Was ist ihm Schönes widerfahren, dass er solch einen Gute-Laune-Satz auf die Straße schreibt? Scheinbar hatte er ein großes Bedürfnis, sich mitzuteilen. Kann ich ihm à la Küchenpsychologie ein übersteigertes Ego anhängen? Wohl kaum. Oder hat er sich über sein Leben gefreut, einfach so? Kam dieser Satz aus einem erfüllten Herzen? Lebensfreude pur? 

 

Mir fiel das vielzitierte Jesuszitat ein: „Wer nicht das Reich Gottes annimmt wie die Kinder, der wird nicht hineinkommen.“ (Markus 10,15)  


Kinder sind etwas Wunderbares. Sie sehen die Welt durch ihre Kinderaugen aus einem anderen Blickwinkel und nehmen oft Details wahr, die wir schnell übersehen. Kinder sind (in der Regel) schneller zufrieden mit ihrer kleinen Kinderwelt. Sie können sich schon über die „unscheinbaren“ Dinge des Lebens freuen und sich mit wenigen Spielsachen ganze Welten ausdenken. Wenn ich Kindern begegne, überträgt sich diese unmittelbare Lebensfreude direkt auf mich. Ja, und ich muss tatsächlich gestehen: Ich bin manchmal neidisch, unendlich neidisch auf solch eine ansteckende, fröhliche Freude am Leben. 

 

Der Junge war in diesem Moment der Mittelpunkt seines kleinen Universums. Dieses kleine Universum war gut und meinte es gut mit ihm. Das ist doch das, was wir uns alle wünschen. Ein Lebensgefühl, ein Erlebnis, durch das wir uns so erfüllt und beschenkt fühlen, dass wir es allen mitteilen möchten: „Ich füle mich tol.“  

 

Und es wäre doch ein kirchliches Traumgefühl: Die Menschen kommen fröhlich singend aus der Kirche. Sie schreiben es überall hin, sie rufen es sich gegenseitig zu: „Ich fühle mich toll. Ich bin ein geliebtes Menschenkind Gottes. Ich lebe in seinem Reich, das voller Farbe, voller Leben, voller Liebe ist.“

 

Dem kleinen Jungen wünsche ich auf jeden Fall, dass er sich so lange wie möglich dieses Lebensgefühl bewahren kann. Bestimmt wird es ihm helfen, die schwierigen Phasen seines Lebens zu meistern und einige seiner Weggefährt*innen mit seiner Fröhlichkeit anzustecken. 


Und weil der Satz mir richtig gute Laune macht, hängt er jetzt an meinem Kühlschrank. 

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen unbeschwerte Sommertage!

 


Ihre Ann-Kristin Scholl

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