An(ge)dacht

von Pfarrerin Ute Waffenschmidt-Leng | Februar 2024

Jahreslosung 2024 
„Alles lasst in Liebe geschehen!“ – 
1. Korinther 16,14

Liebe Gemeinde,

 

was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie die Jahreslosung 2024 zum ersten Mal wahrgenommen haben? Dass das eine Überforderung ist? Dass das nicht geht – das mit dem „Alles“? Dass mit dieser Einstellung tatsächlich Großes geschehen ist, aber auch Menschen kaputt gegangen sind – vor allem Frauen?  


Ambivalenzen, die die Jahreslosung auslöst? Da hilft es, genauer hinzuschauen, was Paulus meint. 
Die messiasgläubige Gemeinschaft in Korinth, der Paulus seinen Brief schreibt, lebt als Minderheit in der großen Hafenstadt. Korinth ist geprägt von großen sozialen Unterschieden: eine reiche Minderheit, eine arme Mehrheit, unterschiedliche religiöse und kulturelle Prägungen. Und zur messiasgläubigen Gemeinde gehören Menschen, die diesen Querschnitt der Gesellschaft verkörpern. Kein Wunder, dass dort sehr unterschiedliche Ansichten darüber bestanden, wie die befreiende Botschaft vom Messias Jesus zu verstehen und im Alltag zu leben sei. Der erste Korintherbrief zeugt von Debatten und handfesten Konflikten um zentrale Fragen der Lebensgestaltung und davon, wie schwer es war, an der Hoffnung auf den Messias Jesus festzuhalten und an dem, was er an Idealen und Träumen von einem solidarischen, gerechten gemeinschaftlichen Leben gelebt hat.


Paulus versucht mit seinem Brief, den Blick auf das zu richten, was die Menschen – bei allen unterschiedlichen Ansichten und sozialen und kulturellen Lebenswirklichkeiten – verbindet. 


Paulus will helfen, die vorhandenen Spaltungen zu überwinden. Und offenbar ist für ihn dabei der entscheidende Punkt die Liebe. Die Liebe ist der Raum, in dem gutes Leben gelebt wird – ganz selbstverständlich – nicht erzwungen – ganz und gar frei. Sich im Raum der Liebe zu bewegen, ist das Wichtigste und das Verheißungsvollste überhaupt, sagt Paulus. 


Ich bin sicher, dass auch Sie sich an Momente erinnern, in denen Sie staunend diese Möglichkeiten und die Kraft der Liebe erlebt und empfunden haben. Vielleicht haben Sie erlebt, WIE schön es ist, mit Augen der Liebe angesehen zu werden? „Du bist schön!“, sagen Liebende einander – und es hat nichts zu tun mit den Schönheitsidealen, die durch (soziale) Medien u.a. suggeriert werden. Und wir staunen und es tut uns unendlich gut, so gesehen zu werden. Im Raum der Liebe ist es auch möglich zu streiten, ohne sich zu zerstreiten. Im Raum der Liebe ist es möglich, Fehler einzugestehen und sich zu verändern. Im Raum der Liebe achtet man auf Gerechtigkeit und freut sich am Glück und am guten Leben aller. Im Raum der Liebe bläht sich keiner auf. Im Raum der Liebe hält man einander aus und der Austausch über unterschiedliche Standpunkte führt dazu, dass Verstehen entsteht.


Die Liebe – und wir spüren, wie leicht alles wird, wenn wir diesen Raum betreten. 


Manchmal spüren wir auch, dass Liebe verletzlich macht – aber wie viel mehr spüren wir, wie viel Kraft die Liebe hat und dass sie alles vermag! Die Jahreslosung – eine befreiende Einladung in allen und trotz aller Konflikte und Spaltungen und beängstigenden Entwicklungen in dieser Welt – und vielleicht auch privat – sich in den besonderen Raum der Liebe zu begeben, in dem erstaunliche Lösungen und Wege möglich sind. 


Alles lasst in Liebe geschehen!  

 

 

Ihre
Ute Waffenschmidt-Leng

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