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Willkommen im Raum der Liebe Gottes - die Jahreslosung 2024
10.1.2024
von Heike Dreisbach
Als in der Buchhandlung meines Vertrauens im vergangenen Herbst die ersten Spruchkarten, Kalender, Lesezeichen, Tassen, Kerzen, Kulis, Schlüsselanhänger und was-nicht-sonst-noch-alles mit der Jahreslosung für 2024 auftauchten, war ich zunächst etwas enttäuscht.
"Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe"
1. Korinther 16,14 (Einheitsübersetzung)
Ist das nicht viel zu pauschal und zugleich hoffnungslos überfordernd? Dazu die vorherrschende Motivwahl, ziemlich vorhersehbar. Akuter Herzchenalarm - ganz schön kitschig...
Inzwischen kann ich durchaus etwas anfangen mit der neuen Jahreslosung. Und das liegt auch daran, dass wir sie bei "Bibel teilen digital" im Zusammenhang betrachtet haben.
Was mich überrascht hat: Da geht es ganz und gar nicht pauschal zu und unverbindlich schon gar nicht. Im Gegenteil: Paulus wird hier, am Ende seines Briefes an die Gemeinde in Korinth, sehr konkret und sehr persönlich. Er nennt eine Menge Namen. Die Namen von Landschaften und Gemeinden, die Namen einzelner Menschen, über die wir zum Teil nicht mehr wissen, als dass sie eben an dieser Stelle kurz erwähnt werden. Paulus betreibt Beziehungspflege, bemüht sich Konflikten vorzubeugen. Außerdem spricht er jede Menge Orga-Kram an. Es geht um Finanzielles, um Fundraising und darum, wer wann wohin reisen will, vielleicht. Wenn das Wetter mitspielt und auch sonst nichts dazwischen kommt. Ein weitgespanntes Netzwerk wird sichtbar, mit allem, was dazugehört an Schönem, Anstrengendem und Nervigem.
Und dann geht es um die Liebe. Um die Agape, die sich hingebende, sich verströmende, sich verschenkende göttliche Liebe, die keine Gegenliebe erwartet. In seinem Brief hat Paulus diese Liebe bereits ausführlich zu beschreiben versucht, mit hochpoetischen Worten. Dass diese Passage später einmal weltberühmt werden wird als das "Hohe Lied der Liebe", das kann damals noch niemand wissen. Für Paulus ist wichtig: Diese Liebe soll nicht reserviert sein für besonders innige, erhebende Stunden. Sie soll ihren Platz finden, mitten im Alltag. Das könnte doch gut sein, dass er deshalb am Ende seines Briefes, sehr bewusst noch einmal auf dieses "Hohes Lied der Liebe" verweist.
"Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe"
Bei "Bibel teilen digital" haben wir überlegt, was sich verändert, wenn ich mich zwischendurch immer wieder an diesen Vers erinneren lasse. Wenn mich jemand nervt, wenn die Luft konflikthaft zu knistern beginnt in einer Besprechung. Ganz sicher würde das etwas verändern, dann kurz an die Jahreslosung zu denken. Die von mir zunächst so kritisch beäugten Tassen, Kerzen, Kulis und Schlüsselanhänger mit Spruch und Herzchenmotiv könnten da eine echte Hilfe sein.
Dass mich der buchstäblich liebevolle Rippenstoß der Jahreslosung bei alledem nicht überfordern muss, wird mir klar, wenn ich mir die Sprachnachricht anhöre, die Ralph van Doorn im Chat unseres Griechisch-Kurses gepostetet hat.
"πάντα ὑμῶν ἐν ἀγάπῃ γινέσθω".
"Panta hymon en agape ginestho".
So hört sich die Jahreslosung im Originalwortlaut an. Wortwörtlich, so Ralph, wäre zu übersetzen:
Alles, bei Euch, oder: Alles, was Euch betrifft, geschehe in Liebe.
Das hat mich überrascht: Dann geht es ja, genaugenommen nicht um ein Tun im engeren Sinne. Es ist gar kein Aktivismus gefordert. Sondern es geht vielmehr um eine Art Raum der Liebe. In den ich eintreten darf. Dessen liebevolle Atmosphäre ich nicht mehr oder weniger mühsam selbst herstellen muss. Weil es der Raum der Liebe Gottes ist. Dessen Liebe all unserem eigenen Tun und Bemühen stets vorausgeht.
Mich beflügelt diese Vorstellung: In der liebevollen Atmosphäre dieses Raums kann und soll alles stattfinden. Alles, was uns betrifft. Nichts ist zu alltäglich oder zu banal, um mit hineingenommen zu werden. Unseren Orga-Kram, unsere Beziehungspflege, unsere Planungs- und Konfliktgespräche - sie müssen nicht t irgendwo draußen im Dunkeln und Nassen verhandelt werden. Viel besser, wir treffen uns im Raum der Liebe Gottes! Wo es angenehm hell ist und warm. Hier finden wir die allerbesten Voraussetzungen vor, um entspannt miteinander zu planen, zu diskutieren und, wenn es nötig ist, auch um miteinander zu streiten. Hier kann alles auf den Tisch: Unsere Termine, Reisepläne, Finanzen, unsere politischen Ansichten, unsere Beziehungsthemen. Im Raum der Lieben Gottes ist nicht zuletzt Platz, um uns (allein oder miteinander) auszuruhen, um uns aufzuwärmen und unsere müden Glieder von uns strecken. Hier können wir es uns gut gehen lassen, können miteinander lachen, singen, feiern.
Das Beste ist: Dieser Raum der Liebe Gottes wird nie abgeschlossen. Er ist durchgehend geöffnet. 24 Stunden am Tag. Sieben Tage die Woche. Das ganze Jahr über. Ein Leben lang. Für immer.
Mir das zu vergegenwärtigen, ist wahrhaftig nicht kitischig, sondern ein einziger riesengroßer Segen.
Alles bei Euch geschehe in Liebe.
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